Nur
ein Spiel
von Lothar Bendig
Ich
heiße Stefan und stamme von einem Bauernhof in der Nähe
von Bad Tölz.„Landwirtschaft ist eine Wissenschaft
geworden“, sagte mein Vater eines Tages zu mir und blickte
mich bedeutungsvoll an. „Wenn du unseren Betrieb einmal
übernehmen willst, solltest du unbedingt noch studieren.“
Ich
schrieb mich also im Alter von 33 Jahren in München für
das Studium der Agrarwissenschaften ein. Bevor das Studentleben
begann, hatte ich noch Elke geheiratet, obwohl wir uns erst kurze
Zeit kannten. Aber wir waren hundert Prozent sicher, dass es die
große Liebe war. „Ich bleibe hier in Bad Tölz“,
sagte sie, „wo ich einen gut bezahlten Arbeitsplatz habe.
Wir haben ja am Wochenende unendlich viel Zeit füreinander.“
Das
Studium tat meiner Ehe jedoch nicht gut. Die vielen hübschen
Studentinnen in München forderten meinen Eroberungsdrang
immer wieder heraus. Elke kam bald dahinter und stellte mich,
rasend vor Eifersucht, zur Rede. „Für dich ist Liebe
doch nur ein Spiel, Stefan“, hatte sie mir nach einer langen
Auseinandersetzung ins Gesicht geschleudert, „aber das wird
dir noch leidtun.“ Sie packte ihre Koffer und zog aus.
Unsere
Anwälte brachten die Scheidung schnell über die Bühne.
Zu schnell für meinen Geschmack, denn heute vermisse ich
Elke, und die wiedergewonnene Freiheit kann ich deshalb nicht
genießen. Von den jungen Studentinnen, die mit einer Nacht
nicht viel mehr anfangen können, als endlos über ihr
Fachgebiet zu quasseln, zog ich mich zurück und nahm mir vor,
mich sobald an keine Frau mehr gefühlsmäßig zu
binden.
Eine
meiner Dozenten war Ingrid, eine dynamische Frau, die uns
Studenten ganz schön in Atem hielt. Blond mit graublauen
Augen und etwa so alt wie ich. „Deine Semesterarbeit 'Die
Landschaften Bayerns aus agronomischer Sicht' ist eine
Katastrophe“, teilte sie mir vor einigen Tagen mit. „Am
liebsten würde ich mit dir hinaus aufs Land fahren, um dir
etwas Anschauungsunterricht zu erteilen.“ So fing die
Geschichte an.
Wie
fuhren sonntags am späten Morgen los. Ingrid gab die Richtung
an und ich folgte stundenlang ihren Erläuterungen, die sie
kühl und sachlich vorbrachte. Irgendwann begann ich, mich zu
langweilen, und ich hatte Mühe, ein Gähnen zu
unterdrücken. Ingrid entging das nicht „Die Stelle da
drüben ist richtig für eine Pause“, sagte sie
plötzlich. Sie zeigte auf eine Wiese am Straßenrand, in
die ein kleiner Feldweg hineinführte. Ich riss das Lenkrad
herum und mein Cabrio kam auf dem Schotter des Weges mit
knirschendem Geräusch zum Stehen. Die mit gelben und weißen
Blüten übersäte Wiese lag vor einem Tannenwald und
ein kleiner Bach verursachte ein plätscherndes Geräusch.
Eigentlich die ideale Stelle für den Beginn einer Romanze,
schoss es mir durch den Kopf. Nur der dunkle Wald störte
mich. Er wirkte unheimlich, als berge er ein Geheimnis.
„Kannst
du mir mal helfen, Stefan?“, rief Ingrid. Sie warf mir eine
Decke zu, die sie zusammen mit einer Kühltasche mitgebracht
hatte. Wir fanden eine kleine Mulde in der Wiese und ließen
uns dort nieder. Ingrid zauberte eine Flasche Moet & Chandon
und Baguettebrötchen mit Lachs und Kaviar aus der Tasche
hervor. Ich pfiff anerkennend durch Zähne.
„Die
habe ich geschenkt bekommen“, sagte sie und reichte mir die
Flasche. „Mach du die auf! Ihr Männer könnt das
besser.“ Das schäumende Getränk spritzte hervor,
als der Korken mit einem lauten Knall davonflog, und lief in die
Gläser, die Ingrid bereithielt. „Prost“, sagte
sie und wies auf dem Imbiss. „Bedien dich!“
Für
eine Brotzeit wirken Champagner, Lachs und Kaviar geradezu frivol,
dachte ich belustigt. Ob Ingrid mich verführen wollte? Der
Alkohol zeigte bald seine Wirkung. Meine Begleiterin wurde mit
jedem Schluck ausgelassener, ihr Ton immer lockerer.
„Du
bist ein guter Autofahrer“, schmeichelte sie mir mit einem
verführerischen Lächeln „Ich habe mich
hundertprozentig sicher bei dir gefühlt.“
Aha,
dachte ich, die Anmache geht los, aber ich war mir unschlüssig,
wie ich mich verhalten sollte. Mit seiner Dozentin ein Verhältnis
anzufangen, konnte ins Auge gehen, zumal ich noch nicht einmal
wusste, ob sie verheiratet war.
„Und
du bist eine sehr gute Lehrerin“, gab ich deshalb
ausweichend zur Antwort. „Ich werde beherzigen, was du mir
beigebracht hast.“
„Würdest
du auch jetzt tun, was ich dir sage?“ Sie sah mir tief in
die Augen.
„Natürlich“,
nickte ich ahnungslos.
„Dann
küss mich!“
Eine
innere Stimme hätte mich warnen sollen. Ingrid ähnelte
sehr meiner Ex-Frau. Zumindest bildete ich mir das unter dem
Einfluss des Champagners ein. Aber wahrscheinlich fliegt man immer
wieder auf den gleichen Typ.
Unsere
Lippen fanden sich zu einem heißen Kuss. Seine Dozentin zu
knutschen ist für einen Studenten im dritten Semester schon
ein beachtlicher Erfolg, dachte ich. Ihre Art zu küssen kam
mir jedoch auf merkwürdige Weise vertraut vor. Ich fing Feuer
und warf in diesen Moment alle meine Vorsätze bezüglich
der Gefühle für Frauen über Bord. Als ich mutiger
wurde und meine Hand ihre schlanken Beine entlang unter ihren Rock
wandern ließ, stieß sie mich jedoch abrupt zurück.
„Was bildest du dir ein? Glaubst du, du bist so
unwiderstehlich, dass du jede Frau gleich beim ersten Treffen
vernaschen kannst?“
„Ich
halte mich keinesfalls für unwiderstehlich“, stammelte
ich verdattert. Ich fühlte mich, als hätte jemand über
mir eine kalte Dusche angestellt.
„Doch!
Du bist als Draufgänger bekannt, der nichts anbrennen lässt.“
Woher
kam ihre abschätzige Meinung über mich? Sekunden später
sollte ich es erfahren, denn urplötzlich hatte ich das
Gefühl, dass wir nicht mehr allein waren. Ein Schatten fiel
über meine Schulter und ich drehte mich hastig um. Vor mir
stand, wie aus dem Boden gewachsen, meine Ex-Frau Elke. Sie musste
sich im Wald versteckt haben.
„Darf
ich dir meine Schwester vorstellen?“, sagte sie mit einer
theatralischen Handbewegung zu Ingrid hin. Ihre blauen Augen
funkelten angriffslustig und der beißende Spott in ihrer
Stimme war nicht zu überhören.
„Du
hast eine Schwester? Warum hast du mir nie von ihr erzählt?“
Die
Beantwortung dieser Frage schien Elke Schwierigkeiten zu machen.
Ingrid erwiderte an ihrer Stelle. „Wir sind uns lange Zeit
aus dem Weg gegangen. Vor einigen Jahren waren wir in den gleichen
Mann verliebt, der uns letztlich beide hat sitzen lassen. Jede von
uns hat der anderen die Schuld dafür zugeschoben, dass es
nicht zu der großen Liebe gekommen ist.“
„Schließlich
haben wir uns wieder versöhnt“, übernahm Elke das
Gespräch. „Ihr Kerle seid es nicht wert, dass zwei
Schwestern sich wegen euch entzweien. Und als Ingrid mir erzählte,
dass du bei ihr eine Vorlesung belegt hast, kam uns eine Idee. “
„Ihr
habt also ein abgekartetes Spiel mit mir getrieben?“ Ärger
und Frust stiegen in mir hoch.
„Ja,
hast du das ernst genommen? Dass eine Dozentin mit ihrem Studenten
sonntags rausfährt, um ihm Nachhilfeunterricht in
Landschaftskunde zu erteilen?“, antwortete Ingrid. „Eine
Lehre für dich sollte es natürlich schon sein“,
setzte sie mit süffisanter Stimme hinzu. Ich muss in diesem
Augenblick ein ziemlich dummes Gesicht gemacht haben, denn die
beiden Frauen schüttelten sich vor Lachen.
Dann
stand Ingrid auf, hängte sich bei Elke ein und die beiden
wandten sich zum Gehen. „Einen Liebesdienst kannst du mir
doch erweisen“, sagte Ingrid spöttisch „Pack doch
bitte Decke und Picknicktasche zusammen und trag uns das zum
Wagen.“ Unten an der Straße sah ich jetzt ein zweites
Auto, halb versteckt unter den Büschen, mit dem Elke gekommen
sein musste.
Ich
fühlte mich gedemütigt. Zähneknirschend folgte ich
der Aufforderung. Wie ein begossener Pudel trottete ich hinter den
Frauen her, die sich lachend und kichernd auf den Weg machten.
Jetzt, als ich die beiden nebeneinander sah, fiel mir die große
Ähnlichkeit auf. Elke war etwas kleiner mit rundlicheren
Formen, während Ingrid die größere war und
sportlicher wirkte. Gestik und Körpersprache waren aber
verblüffend ähnlich. Ihre blonden Haare, der
ausdrucksvolle Mund und die hochstehenden Wangenknochen ergänzten
die Übereinstimmung.
Wenn
ich sie mit geschlossenen Augen küsste, das hatte ich eben
erfahren, könnte ich sie nicht auseinanderhalten. Der bloße
Gedanke daran hatte jedoch eine ausgesprochen anregende Wirkung
auch mich. Um es auf den Punkt zu bringen: Sie gefielen mir beide.
Wenn meine Ex-Frau nur nicht so eifersüchtig wäre! Für
solche Überlegungen war es jetzt allerdings zu spät.
Elke
schloss mit trotzig erhobenem Kopf das Auto auf. Sie merkte, dass
ich sie anstarrte, denn plötzlich veränderte sich ihr
Gesichtsausdruck. Ein weiches Lächeln zuckte um ihren Mund
und sie errötete heftig. Schnell stieg in den Wagen. Ingrid
hatte ihre Sachen im Kofferraum verstaut und begab sich mit
verlegener Miene zur Beifahrerseite. Ich traute jedoch kaum meinen
Ohren, als sie mir im Vorbeigehen zuraunte: „Ruf mich morgen
an, bitte!“
Meine
Depressionen waren wie weggeblasen. Das Spiel nahm eine
interessante Wendung. Ich würde es mitspielen.
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