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Tod im Hotel

von Lothar Bendig


Die Glastür des Aufzugs öffnete sich automatisch mit leisem Surren. Eva betrat das Foyer, zögerte kurz und ging dann mit selbstbewusstem Schritt über den weißen Marmorboden auf die Bar zu. Vor einem wandhohen Spiegel blieb sie stehen und prüfte ihr Aussehen. Für eine Frau von 35 Jahren sah sie gut aus, fand sie. Der schwarze Rock etwas zu kurz und der rote Pullover zu eng. Aber gerade richtig für das, was sie vor­hatte. Ihr orientalisch geschnittenes Gesicht mit den mandel­förmigen, dunklen Augen, ein Erbteil ihres arabischen Vaters, hatte bisher noch jeden Mann betört, wenn sie es darauf angelegt hatte.

Sie nahm an einem Bistrotisch Platz, bestellte einen Cappuccino und betrachtete dann neugierig ihre Umgebung. Die Lounge dieses Schweizer Hotels am See war pompös ein­gerichtet mit getäfelten Wänden, hohen Marmorsäulen und Kristallleuchtern. Nicht die Preis­kategorie, die ihren finanziellen Verhältnissen entsprach, deshalb wohnte sie auch in der Dependance in einem anderen Gebäude und musste ihre Hotelrechnung im Voraus bezahlen.

Sie zündete sich eine Zigarette an, nahm sich eine Illustrierte, die ein anderer Gast auf dem Nebentisch liegen gelassen hatte, und begann zu lesen. Von Zeit zu Zeit blickte sie jedoch auf ihre Armbanduhr, als würde sie auf jemanden warten, und ihr Blick wanderte immer wieder zum Hoteleingang. Schließlich zog sie eine Fotografie aus ihrer Handtasche, studierte sie aufmerksam und legte sie vor sich auf den Tisch.

Dann versuchte sie weiter in dem Magazin zu lesen, aber ihre Gedanken schweiften ständig ab. Als sie noch für Amnesty International gearbeitet hatte, war ihr Leben schon aufregend genug gewesen, und sie hatte sich dafür eingesetzt, gegen das Unrecht dieser Welt zu kämpfen. Auf verlorenem Posten, wie sie später feststellte. Eines Tages nahmen Männer und Frauen aus dem Heimatland ihres Vaters Kontakt mit ihr auf. „Das größte Problem, das wir hier haben", sagten sie, „sind die illegalen Waffen­lieferungen aus den Industriestaaten, mit denen unsere Diktatoren immer wieder das berechtigte Aufbegehren der Bevölkerung niederschlagen können. Wir haben eine im Untergrund arbeitende Gruppe gegründet, die dagegen vor­geht. Wollen sie nicht mitmachen?“ Nach reiflicher Über­legung stimmte sie zu. Seitdem war ihr Leben abenteuerlich geworden, aber sie liebte den Kick der Gefahr.

Die Hoteltür öffnete sich wieder und Eva fuhr plötzlich wie elektrisiert von ihrem Stuhl hoch. Das musste er sein. Ein großer schlanker Mann betrat die Hotelhalle. Sie erkannte ihn sofort, obwohl sie sich nie persönlich gesehen hatten. Ein lässiger Gang, die Schultern leicht nach vorne gebeugt. Sein Mund war weich, drückte aber Entschlossenheit aus. Er gefiel ihr! Das musste sie sich spontan eingestehen. Wenn sie ihn unter anderen Umständen getroffen hätte …. Sie schob den Gedanken beiseite, legte Geld für den Cappuccino auf den Tisch und stand auf. Mit der Illustrierten unter dem Arm und ihrem Handy am Ohr ging sie langsam auf die Rezeption zu und tat so, als würde sie tele­fonieren. Plangemäß stieß sie mit dem neu angekommenen Hotelgast zusammen. Sie konnte das Handy gerade noch auffangen, aber das Magazin fiel zu Boden. Instinktiv bückten sich beide gleichzeitig danach und stießen mit den Köpfen zusammen.

Ich Dummkopf“, entfuhr es ihm, „ich hätte besser aufpassen sollen.“

Das macht nichts“, sagte sie lachend. „Ich bin hart im Nehmen.“

Trotzdem ist es mir peinlich“, sagte er und half ihr auf die Beine. „Vielleicht darf ich mich später am Tag dafür revanchieren. Ich darf mich vorstellen: Ich heiße Udo Bartoli.“

Für eine Wiedergutmachung findet sich sicher eine Ge­legenheit“, antwortete sie, sibyllinisch lächelnd.

Ich hoffe darauf.“ Er nahm ihre rechte Hand. „Mit wem habe ich die Ehre?“

Eva“, sagte sie. „Sagen Sie einfach Eva zu mir. Aber es wird, glaube ich, Zeit, dass sie sich einchecken.“ Sie wies auf die geduldig wartende Hotelangestellte, die die Szene beobachtet hatte. Dann ging sie weiter zum Informationsdesk und tat, als würde sie die ausliegenden Prospekte studieren. Aber sie behielt ihn verstohlen im Auge. Udo Bartoli hatte zwei Gepäckstücke: einen kleinen Koffer und eine solide Lederaktentasche mit Zahlenkombinationsschloss, die er nicht aus der Hand gab, als ein Page ihm das Gepäck abnehmen wollte.

Willkommen, Herr Bartoli“, sagte die Hotelangestellte, nachdem er sich ausgewiesen hatte. „Zwei Herren haben schon nach Ihnen gefragt. Ihre Namen wollten sie nicht nennen, aber sie sitzen drüben an der Bar.“

Evas Blick folgte dem ausgestreckten Arm der Angestellten. Was sie sah, ließ ihr das Blut in den Adern gefrieren. Dort saßen zwei der berüchtigtsten Gestalten des internationalen Waffenhandels. Sie kannte sie allerdings nur von Fotos. Der Dunkelhäutige wurde „Der Araber“ genannt, weil niemand seinen richtigen Namen kannte, der andere war ein Schweizer namens Uri. Ihre Informationen waren also richtig und sie würde Zeuge eines der dubiosen Waffendeals werden. Ihre Aufgabe war es, dies zu verhindern. Die Frage war nur: wie?

Sie verließ das Hotel und ging ohne ein festes Ziel in die Stadt. Sie musste nachdenken. Die exquisiten Geschäfte links und rechts ihres Weges nahm sie nicht wahr, denn ihr Herz raste und in ihrem Kopf arbeitete es fieberhaft. Bisher hatte sich ihre Tätigkeit auf Ermitteln, Observieren und Weiterleiten von Informationen beschränkt. Diesmal war ihr direkter persönlicher Einsatz gefordert, notfalls unter Anwendung von Gewalt. Sie wusste, dass man das von ihr erwartete. Schweiß brach ihr aus, als sie in ihrer Handtasche nach der Beretta tastete und den kalten Stahl der Waffe spürte. Doch dann kam ihr eine Idee, die schnell zu einem konkreten Plan heranreifte. Sie sah jetzt glasklar, was zu tun war, und ging eilig zum Hotel zurück.

In der hintersten Ecke der Lounge sah sie Bartoli mit seinen Geschäftspartnern sitzen. Eva suchte sich einen Platz, an dem sie durch Pflanzen verdeckt war, die drei aber beobachten konnte. Sie nahm eine Illustrierte von einem Ständer und platzierte dabei unauffällig einen kleinen zylindrischen Gegenstand auf dem Rand eines Blumenkübels. Mit diesem Richtmikrofon war sie in der Lage, Gespräche über eine größere Distanz zu verfolgen. Dann setzte sie sich in einen tiefen Sessel, in dem sie fast verschwand, und holte einen MP3-Spieler mit Kopfhörer aus ihrer Handtasche. Dieses Spezialgerät empfing drahtlos Signale vom Richtmikrofon.

Was sie hörte, entsprach ihren Erwartungen. Das Gespräch der Männer ging um Schusswaffen, Munition, gepanzerte Fahrzeuge, Liefertermine, Preise und Ausfuhrgenehmigungen. Der Gesprächston blieb stets höflich, aber die Ver­handlungen waren knallhart. „Gut“, hörte sie schließlich die Stimme von Udo Bartoli. „Ich glaube, wir sind uns einig. Kommen sie um 18 Uhr in mein Zimmer, dann habe ich alle Unterlagen fertig. Vorher zahlen sie bitte die Hälfte meines Honorars bar bei meiner Bank ein. Die nächste Filiale ist in der Nähe. Die Bank wird mich anrufen, wenn das Geld auf dem Konto ist.“

Eva drückte sich noch tiefer in den Sessel, als die drei Männer an ihr vorbeigingen, und hielt die Illustrierte ausgebreitet vors Gesicht, um nicht gesehen zu werden. Als Bartoli im Aufzug verschwunden war, suchte sie ihr Zimmer auf, duschte und zog sich frisch an. Diesmal wählte sie einen vorne geschlitzten Minirock. Dann rief sie die Rezeption von ihrem Handy, dessen Rufnummer unterdrückt wurde, an und ließ sich mit Udo Bartoli verbinden.

Eva“, sagte sie, „sie er­innern sich noch an unsere kleine Kollision von heute Morgen? Sie haben versprochen, sich zu revanchieren. Gilt ihr Wort noch?“

Kommen Sie doch auf einen Drink hoch“, tönte es nach einer kurzen Pause aus dem Hörer und er nannte ihr seine Zimmer­nummer.

Ich bin in fünfzehn Minuten oben.“ Schwer von Begriff ist er ja nicht, dachte sie amüsiert.

Erst ging sie jedoch noch mal in die Lounge an die Kaffeebar und trank einen doppelten Espresso. Was sie vorhatte, war unmoralisch und sie kämpfte mit sich. Das aromatische Getränk belebte jedoch ihre Sinne und sie spürte, wie ihr Puls schneller schlug, als sie zum Aufzug ging. Mal sehen, wie es jetzt weiter geht, dachte sie. Eine wohlige Erregung stieg in ihr hoch. Sie hatte lange keinen Mann mehr gehabt.

Er öffnete sofort, als sie an seine Tür klopfte. Ein Duft von herbem, männlichem Parfüm umgab ihn. Auf dem Couchtisch standen schon eine geöffnete Flasche Champagner und zwei Gläser. Alles vor­bereitet für eine Verführung, stellte Eva fest.

Udo liebte keine langen Vorspiele und nach ein paar Gläsern Champagner lagen sie im Bett. Er war sehr ausdauernd und brachte sie zwei Mal zum Höhepunkt. In ihrem Kopf drehte sich alles und ihre Nerven vibrierten noch vor Erregung, als er schon wieder aufsprang. „Ich brauche was zum Trinken. Willst Du auch etwas?“, fragte er, und als sie bejahte, sagte er: „Nimm du den Rest Champagner. Ich bevorzuge etwas Stärkeres.“ Er nahm eine Flasche Whisky und Eiswürfel aus der Minibar und füllte ein Glas fast bis zum Rand. Dann brachte er ihr den Champagner ans Bett.

Was machst Du eigentlich hier im Hotel?“, fragte er unvermittelt. „Urlaub?“ Die Ausfragerei geht los, schoss es Eva durch den Kopf.

Nein! Auch Geschäfte.“

Welche Art von Geschäften?“

Ich bin so eine Art Pharmavertreterin, die sich hier mit Ärzten trifft, die bereit sind, unsere noch nicht zugelassenen Medikamente an Patienten zu testen“, log sie.

Udo runzelte die Stirn. „Hast Du dabei denn kein schlechtes Gewissen?“

Das musst du gerade sagen, dachte sie, aber es wurde Zeit, diese Unterhaltung zu beenden. Sie drehte sich auf den Bauch, um ihm nicht in Gesicht sehen zu müssen. „Komm doch noch mal ihn Bett!“ Sie versuchte, ihrer Stimme einen drängenden Ton zu geben. „Als Mann bist du ein Phänomen und wer weiß, wann ich so was wieder treffe.“

Der verlockende Anblick, den sie bot, verfehlte seine Wirkung nicht. „Aber gerne“, antwortet Udo geschmeichelt, „aber lass mich vorher duschen.“ Mit siegesbewusstem Grinsen verschwand er im Bad.

 Eva erwachte plötzlich zu hektischer Aktivi­tät. Auf diesen Moment hatte sie gewartet. Aus ihrer Tasche holte sie ein kleines Medikamentenfläschchen hervor, öffnete es mit fliegenden Fingern und ließ eine weiße Pille, die sich sofort sprudelnd auflöste, in seinen Whisky fallen. Dann setzte sie sich mit dem Champagnerglas aufs Sofa und wartete.

Prost, mein Geliebter“, sagte sie mit hintergründigem Lächeln, als er aus dem Bad wieder auftauchte und sich zu ihr setzte. Ich hoffe, nach diesem Mal wirst du so fertig sein, dass du nicht mehr aus dem Bett hochkommst. Udo lachte laut auf und kippte den Whisky in einem Zug hinunter.

Das Zeug schmeckt merkwürdig“, stellte er fest und verzog das Gesicht. Dann verdrehte er die Augen und sackte seit­lich auf dem Sofa in sich zusammen.

Eva hat erreicht, was sie wollte. Als sie sich hastig anzog, entdeckte sie seine Aktentasche, die geöffnet neben dem Schreibtisch auf dem Boden stand. Fieberhaft verteilte sie alle Dokumente auf dem Boden, fotografierte sie mit ihrem Handy, steckte sie in die Tasche zurück und schob diese unters Bett. Dann verließ sie die Suite und lief die Hoteltreppe hinunter zu ihrem Zimmer. Dort machte sie sich frisch und studierte anschließend die Fotos, die sie gemacht hatte, auf dem Display ihres Mobiltelefons. Brisantes Material, soweit sie es bei der schwachen Vergrößerung beurteilen konnte. Sie versendete die Aufnahmen eine nach der anderen per MMS und löschte sie dann auf ihrem Gerät. Sie durften nicht bei ihr gefunden werden.

 

Um achtzehn Uhr tauchten die beiden Waffenhändler im dritten Stock des Hotels vor dem Zimmer von Udo Bartoli auf. Der Araber klopfte mehrfach vergeblich an der Tür. „Er wird doch nicht verschwunden sein? Wir waren doch um diese Zeit verabredet.“

Lass mich mal“, sagte Uri und hämmerte mit der Faust an die Tür. Eine Dame, die weiter unten im Flur gerade aus ihrem Zimmer kam, schrie erschrocken auf.

So machen sie das ganz Hotel rebellisch“, sagte der Araber vorwurfsvoll, „und gleich haben wir die Polizei auf dem Hals.“

Uri nahm darauf ein Miniwerkzeugset aus der Hosentasche und machte sich an dem Schloss der Tür zu schaffen. In weniger als einer Minute hatte er sie geöffnet und die beiden betraten das Zimmer. Bartoli war nicht zu sehen, aber das Bett war zerwühlt. „Da hat mehr als einer drin gelegen“, stellte der Schweizer nüchtern fest und wies auf den Couchtisch, auf dem Gläser, eine leere Champagner- und eine angebrochene Whiskyflasche standen. An einem der Gläser sah man Lippenstiftspuren.

Unser Geschäftsfreund hat sich offenbar hier ein Schäferstündchen genehmigt, anstatt an unserem Auftrag zu arbeiten“, sagte der Araber mit unterdrückter Wut.

Guck mal, hier vor dem Sofa liegt er!“, ertönte plötzlich die überraschte Stimme des anderen Mannes.

Ist er tot?“

Uri legte seinen Zeigefinger auf eine Halsschlagader von Bartoli. „Nein, der Puls ist noch zu spüren, wenn auch schwach.“

Riechst du den Alkohol? Der Kerl ist wahrscheinlich be­trunken.“

Mist! Was wird nun aus unserem Geschäft? Seine Aktentasche ist auch nicht da.“

Wahrscheinlich hat er sie im Hotelsafe deponiert. Legen wir ihn in die Badewanne und drehen das kalte Wasser auf. Dann kommt er wieder zu sich.“

Die beiden Männer nahmen den schlaffen Körper, legten ihn unsanft in der Wanne im Bad ab und stellten das kalte Wasser an. „Komm, wir gehen solange in den Hotelgarten eine rauchen. Der wird ganz schön fluchen, wenn er gleich zu sich kommt.“

Eva war mittlerweile wieder ins Hotel gekommen, hatte sich in die Lounge gesetzt und ihr Handy mit schussbereiter Kamera vor sich hin gelegt. So sah sie die beiden Waffenhändler, die mit ratlosen Gesichtern aus dem Aufzug stiegen. Eva drückte ein paar Mal auf den Auslöser, bevor die beiden, misstrauisch um sich blickend, durch die Hintertür im Hotelgarten verschwanden.

Es scheint funktioniert zu haben, dachte sie triumphierend, aber die beiden Waffenhändler waren ihr nächstes Problem, und sie wusste noch nicht, wie sie das lösen sollte. Sie beschloss aber, weiter zu warten, um zu sehen, was passieren würde. Die beiden Männer würden sicher nicht so schnell aufgeben, nur weil ihr Geschäftspartner nicht geöffnet hatte. Als sie den dritten Espresso getrunken hatte, tauchten Uri und der Araber wieder in der Hotelhalle auf und steuerten auf den Aufzug zu. Jetzt könnte es spannend werden, dachte sie und fühlte, wie ihr Puls sich beschleunigte. Wahrscheinlich eine Folge des vielen Kaffees, versuchte sie sich zu beruhigen, aber eine innere Stimme schrie: „Alarm.“ Ob die beiden in der Lage waren, Udos Zimmer aufzubrechen? Sie bekam ein schlechtes Gewissen. Udo war ihnen in diesem Fall völlig wehrlos auf­geliefert. In ihrem Kopf überschlugen sich die Gedanken.

Plötzlich hatte sie eine Idee. Sie zog sich in eine Ecke der Hotelhalle zurück, nahm ihr Handy aus der Tasche und wählte die Nummer der Rezeption. „Hier spricht Madame Lefebvre“, sagte sie und versuchte ihre Stimme zu ver­stellen. „Ich wohne im Gebäude gegenüber und beobachte gerade, wie im vierten Zimmer ihrer dritten Etage drei Männer in ein Handgemenge verwickelt sind. Kann es sein, dass gerade einer ihrer Gäste überfallen wird?“

Eva legte auf, begab sich wieder an die Bar und sah gerade noch, wie vier Hotelangestellte in den Lift sprangen. Wie erwartet stoppte der in der dritten Etage. Jetzt würde Udo Hilfe bekommen, falls er die benötigte, sagte sie sich er­leichtert. Und tatsächlich kamen kurz danach die beiden Waffenhändler die Treppe herunter gestürmt und verließen fluchtartig das Hotel. Dann brach an der Rezeption Hektik aus. Stimmen schrien durcheinander, der Portier tele­fonierte aufgeregt, Gäste liefen neugierig zusammen. Kurz danach ertönten von der Straße Sirenen.

Eva spürte, wie Übelkeit in ihr hochstieg. Etwas war schief gelaufen, aber sie musste sich jetzt zur Ruhe zwingen, um keinen Verdacht zu erregen. Nach wenigen Minuten kamen ein Notarzt und zwei Sanitäter mit einer Trage im Laufschritt in die Hotelhalle und verschwanden im Aufzug. Eva musste nicht lange warten, denn bald danach kamen sie wieder herunter, den leblosen und total durchnässten Körper von Udo auf der Bahre tragend. Eine Verletzung war nicht zu erkennen. Sie konnte nur mühsam einen Aufschrei unterdrücken. Das Blut schoss ihr in den Kopf und hämmerte an ihre Schläfen. Mit er­zwungener Ruhe ging sie hinüber zur Rezeption. Sie musste erfahren, was passiert war. Die Gäste in der Hotelhalle diskutierten aufgeregt durcheinander.

Er soll ertrunken sein“, sagte eine beleibte Frau. „In der Badewanne!“

Wie kann denn so was passieren?“, meldete sich eine skeptische Stimme.

Er stand wohl massiv unter Alkohol“, klärte ein Hotelan­gestellter sie auf, „hat sich mit allen Klamotten in die Wanne gelegt, das kalte Wasser aufgedreht und offenbar das Bewusstsein verloren. Unglücklicherweise war der Stöpsel im Abfluss. Als das Wasser über seinem Mund stieg, ist es in seine Lungen gelaufen und er daran erstickt.“

Unverständlich“, sagte ein anderer, „wie man sich so be­trinken kann, dass man selbst in kaltem Wasser nicht wach wird.“

Eva wusste die Erklärung. Sie war jetzt ungewollt zu einer Mörderin geworden. Völlig benommen und mit zitternden Knien ging sie in ihr Zimmer, packte ihre Sachen und verließ das Hotel. Den Zimmerschlüssel ließ sich einfach auf dem Nachttisch liegen. Sie hatte ihre Rechnung ja bezahlt. Sie ging runter zum See. Dort ver­brachte sie mehrere Stunden, zitternd vor Aufregung, auf einer Bank und rauchte eine Zigarette nach der anderen. Sie zer­marterte ihr Gehirn, aber sie kam nicht auf die Lösung. Udo hätte nach der Dosis des Narkosemittels, das sie ihm ver­abreicht hatte, mindesten zwölf Stunden schlafen müssen und gar nicht in der Lage sein können, ins Bad zu gehen und sich in die Wanne zu legen.

Als es dunkel wurde, ging sie in eine Snackbar, trank ein kleines Bier, würgte einen Hamburger runter und blaffte einen aufdringlichen Studenten an, der sie anzumachen versuchte. Dann wurde ihr klar, unter welcher Anspannung ihre Nerven standen und sie entschuldigte sich bei dem jungen Mann.

Sie zahlte und suchte in der Fußgängerzone ein Internetcafé auf. Nach einer kurzen Recherche fand sie, was sie wissen wollte. Sie nahm die Speicherkarte aus ihrem Handy, schloss sie mit einem kleinen USB-Lesegerät an den Computer an und versandte mit einer Wegwerf-E-Mail-Adresse die Fotos der Waffenhändler und einen kurzen Text an die Internetadressen der örtlichen Kriminalpolizei und der Lokalzeitung. Sie hoffte, hiermit die Ermittler auf eine Spur gelenkt zu haben, die ihren Absichten entsprach.

Dann ging sie zum Bahnhof. Mit dem Zug die Stadt zu verlassen schien ihr sicherer zu sein, als mit dem Flugzeug. Die Spätausgabe der Tageszeitung lag druckfrisch am Kiosk. Das Titelbild zeigte die Sanitäter, die Udo aus dem Hotel trugen. Die Polizei tappe noch im Dunkeln, hieß es in der dazu gehörenden Meldung. Da aber der Ver­dacht bestand, dass illegale Waffengeschäfte im Spiel waren, war eine Nachrichtensperre verhängt worden.